Prosa


Fano

Eines Morgens wachten sie auf und sahen klar. Der Regen hatte die Welt gewaschen. Weit konnte man blicken; auch in sich hinein. Und so gingen sie auseinander: Er nach außen - von außen sieht alles ganz anders aus - und sie nach innen, hinter ihm her.
„Ich habe meinen Himmel ans Kreuz des Südens genagelt,” sagte sie, „Gott war dabei!”
Die Wolken hatten sich über dem Meer versammelt. Ein Eidechs kreuzte den Weg, und nicht sie waren es, die ihn überfuhren, sondern der nachfolgende Wagen. So hörten sie auch nicht seinen Todesschrei, der ohnedies stumm war. Am Strand blühte das Unglück in tausendfacher Ausführung und einer Farbskala von Schwarz bis Weiß.
Dazwischen war alles möglich. In blecherner Tarnung flog mancher tief; einer flog auf. Andere hinwiederum fielen ins Bodenlose. Wer schrie, der gewann, auch wenn er unrecht hatte. Wer auch nur eine Träne noch zu weinen hatte, der weinte sie schnell. Man wusste ja nie! Die Figur war verrutscht. Man redete zuviel, und an Fußgängerampeln im Wartestand ging das Leben am Bettelstab. Ein Tag ging wie viele. Busse warfen Menschenleiber aus; danach waren sie leer. Da flog eine Botschaft: Flieg, flieg, meine Botschaft! Das Licht hatten sie in Faktoren zerlegt: a-Quadrat plus b-Quadrat ist gleich...
Bei allem kommt minus heraus. Ein Mann lag im Licht. Er atmete noch; und wer sich dran rieb, der merkte es auf der Stelle. Wer wagt sich ins Nass? Klirrkälte drinnen wie draußen. Ein Geierpaar senkte die Augen, spitzte die dürstenden Schnäbel: Ist es soweit? Sie zitterte trotzdem. Nur ein Stein war noch älter als sie.
Auch still war er; wärmte und schwieg. Türkise Gefühle brachen ans Ufer. Bis auf den Grund bläute es bleiern. Marktschreier schrieen nicht. Im Gegenteil. Scheu zeigten sie ihre Waren; che bello! Die Heimat war weit. Vor allem weit weg. Sie sah seinen schmalen Körper und erlosch. Las er verzweifelt? Wo träumte er sich hin? Auch er war erloschen und wusste es. Ein Stein riss sich blutige Schrammen. Er zürnte. Ein anderer war weißer als er. Wer blühte noch, wer nicht? Paddel stießen ins Wasser, das entsetzt aufgischtete - wen nahm es Wunder - und der gleißende Leib eines Bootes glitt vorüber (das Glück ließ er hinter sich), ein Auto verströmte sich im Rotchrom (schwierige Farbe), ein Hund blickte ins Meer, und der Picknickkorb leerte sich.
Acht waagrecht: Ein Werkzeug mit acht Buchstaben, der dritte ein T. Er wusste es - schließlich hatte er studiert! Prinzessin Christine hat geworfen, zwei Schauspieler hat man beim Schnäbeln erwischt, - nun sind sie erledigt. Der Wind trieb hinaus und keiner, ders nicht verstand. Auch der Horizont mühte sich fraglos. Die Frage lautete: Wo? Da stand er, im Kraftstrom ein Windei und stemmte sich eifrig dagegen. Das Endspiel heißt Frankreichbrasilien, wenn Frankreich gewinnt und Kroatien rausfliegt! Das Meer seufzte in Schlurfen, zwei Wolken küssten sich sanft und zerrissen. Wie immer war es ein herrlicher Tag.
Dann später: Zellulitisschinken mit Hintergedärm öffneten Pranken, ballten die Fäuste und zertrümmerten, was ihnen in den Weg kam; die Sicht war gefährdet! Ein Elf nuckelte an der aufgereckten Zitze einer Flasche (gefüllt natürlich, zumindest zuvor) Wellen grollerten, bereit, sich auf jedweden Eindringling unbarmherzig zu stürzen. Der Tag ging ins Netz.
Weit draußen verwirklichte sich ein Fischerboot nebst Fischern; sie zerrten den glitzernden Fang übern Rand.
„Ich liebe die Fische (gebraten)!” Leib an Leib schnappten sie sich ihr Leben hinaus (gemeinsam stirbt es sich leichter). Hochaufgestellt stolzte ein Segel: Ich komme. Ein Fähnchen drehte sich eifrig im Wind. Gülle strampelte gurgelnd an den Strand. Der Strand! Ansonsten recht nett (wenig Gerümpel; nur zweibeiniges) doch matt. Er aß einen Pfirsich. Saft netzte ihm die Hände, ein klebriger Stoffrand und - zack ins Wasser! Na denn! Die Erde zertropfte und Männerträume wurden sichtlich offenbar. Der Leben ein Tort! Noch was trinken und heim ins Gemächt! Kein Blick mehr im Rücken, nur noch das Messer und jener gerühmte Stein, der nie anstößt (er ist flach und hüpft häufig).
Der Tag schwoll. „Wir gehen! Zieh den Bauch ein!” Er weinte.
Später windlos im Schatten. „Herr Ober, ein Bier!” „Come sempre, Graziella!” Eine Möwe machte den Abflug. Ein Traumschiff wurde erst noch geputzt, bevors losging (auch Tag und Nacht glichen sich immer). Zweibeiniges passierte mit Rad und ohne, aufreizend geschürzt oder nicht. Italolovers haufenweise, und nirgends wars schöner als nah beim Volk. Schwielige Fischerhände fachsimpelten Geschichte (Cäsars Erben) und fremd plötzlich: sie. Trapiantati Fanesi - eine Odyssee (keine Liebeserklärung). Die Welt ging in Flammen auf, und sie wussten es nicht.

 

Angstnacht III

Nun hatte sie endlich genug. Genug geträumt, hatte siebenundsiebzig Streiche erfahren - ertragen nur den einen. Bewusst. Dann hatte der Traum begonnen. Quälend, bedeutungsschwanger. Der Tag öffnete seine großen Poren, in denen sie versank. In jeder einzelnen ein Stück von ihr. Sie zerriss. Sie hatte sich vorgenommen, jemand anders zu sein. Eine Chimäre beispielsweise; doch konnte sie sich nicht entscheiden, was das Richtige für sie gewesen sein könnte. „Erregend“, dachte sie, „erregend, diese Unschlüssigkeit! Lass dich gehen, zeigs dir!“ Und so schluckte sie gleich dreimal dieselbe Wahrheit, denn es machte keinen Unterschied: Die Wahrheit war die Wahrheit, nur, wo war sie? Verborgen in einer nächtlichen Hautfalte, orgiastisch abgenutzt, speichelbesämt? Beschämt gestand sie, endlich genug zu haben, und im Gedanken an die Zahl siebenundsiebzig, die sie für heilig hielt und an den Vater schlief sie ein, um nie mehr zu erwachen.

 

Es war einmal

vor langer Zeit ein kleines Mädchen. Das war vom Teufel besessen. Es gab den Großen immerzu nur Widerworte, wollte nie gehorchen, ständig das letzte Wort haben. Bis nun dem Vater eines Tages der Kragen platzte. Er nahm eine Hacke und schlug das Mädchen entzwei. Vom Scheitel durchs Gesicht, rechts ein Auge, links ein Auge, in sauberer Symmetrie ließ er die stählerne Klinge über Nase, Hals und Brustbein in ordentlicher Fahrt auf dem Zenit des Leibes fahren, schnitt achtsam die Wirbelsäule zerteilend, leicht weitergleitend, das Steißbein splitternd, sanft durchs Geschlecht. Nichts hielt dem stand. Was Vater machte, war perfekt, und mit der Hacke konnte er umgehen, der Vater.

Anna Cron